Einzelhandel, unité! Von der Einkaufs-Innenstadt zum Erlebnispark? Gesellschaftlicher Wandel aus der Frosch und Vogelperspektive

von | Okt 28, 2020 | Business, Digitalisierung, Gesellschaft, Markenraum, Praxis | 0 Kommentare

An guten Tagen steht er einfach nur da und verkauft seine 1€-Luxus Artikel. An Schlechten ist er Marktschreier und redet unablässig in ein Mikrofon, dass an eine viel zu laute Alleinunterhalter-Box angeschlossen ist. Der Einzelhandel liefert sich seit mindestes 10 Jahren ein gnadenloses Rückzugsgefecht mit der Online-Konkurrenz und es sieht nicht gut aus. Wo wollen wir eigentlich mit der Stadt hin? #Karstadt Sind die Zusammensetzung der Geschäfte Innenstädte ein Spiegel der Gesellschaft vor Ort, oder richtet sich das System Einkaufsstraße nach größeren Entwicklungen wie den Folgen von demographischen Entwicklungen oder sozialen Umbrüchen? Was bedeutet das konkret für Firmen vor Ort? Und was hat das mit Marken zu tun? (Letzter Artikel zu dem Thema)

Als die ersten-30Jahre-meines-Lebens-Wiesbadener treibt mich das Thema schon seit etwa 15 Jahren um. Damals schloss der kleine von den Wiesbadenern liebevoll „Ghetto-Rewe“ genannte Supermarkt, 50m von der innerstädtischen Fußgängerzone entfernt. Der Nachfolger war ein TEDI-1€-Shop. Ich fand den Einzug des Ladens damals verstörend. Nicht weil mich der Anblick der schrottigen Plastikartikel, die dort in großen Wannen unter grellem Neonlicht feilgeboten wurden, stören würde (was aber definitiv der Fall war), sondern, weil ich mich fragte, welcher Wandel in der Gesellschaft wohl im Gange sein muss, wenn so ein Laden plötzlich auftaucht und seine Zielgruppe hat und nicht etwa der kleine Ghetto Rewe durch einen Alnatura oder Tegut abgelöst wird. Das war 2005. Heute 2020, ist der Umbau der Wiesbadener Fußgängerzone in eine Ramsch-Meile in vollem Gange. Die Entwicklung läuft flächenmäßig betrachtet ungleichmäßig ab. Die ent-Gentrifizierung des Handels in form von Handyzubehör-Läden,1€Wühltisch-Geschäften und Dönerias vollzieht sich von etwa der Mitte ausgehend. Mittlerweile sind höherpreisige Marken aus der Innenstadt raus, die Mono-Label Stores von Marco-Polo, Bodyshop und Timberland haben 2019 die Segel gestrichen, Nespresso und Rituals sind noch da. Letztendlich sind das nur Indikatoren für den Zustand eines Eco-Systems mit unterschiedlichem Indikationswert. So bleibt ein Nespresso-Laden von jeglichem ökonomischen Druck befreit, einfach so lange in einer Lage bestehen, wie sich der als Showroom konzipierte Laden dort lohnt, während als Franchise aufgestellte Läden schließen müssen, wenn Umsatz und Gewinn der Filiale den Erhalt nicht mehr tragen. Daher kann vom bloßen vor Ort Vertreten sein eines Geschäftes aus dem Premiumsegment nicht direkt ein Rückschluss auf den Zustand einer Geschäftsumgebung gezogen werden. Hinzu kommt ein Effekt, der oft bekannt als broken-window-theory, zwar nicht ganz zu unrecht als Grundlage für Law-and-Order und Null-Toleranz-Policies in Verruf geraten ist, beim Strukturwandel einer Einkaufsstraße aber auch nicht vom Tisch zu wischen ist. Es geht um den Radiationseffekt von Billiggeschäften und der Markenwahrnehmung benachbarter Läden. Wir sind der festen Überzeugung, dass sich ein durch externe Faktoren vollziehender Wandel in der Mischung von Einkaufsstraßen noch selbst beschleunigt. Stellen wir uns (als Frankfurter) doch einmal die Goethestraße vor. Dort sind die Flagshipstores vieler bekannter Luxusmarken von Luis-Vuitton über Cartier bis Chanel und Hermès. Was würde sich für diese Geschäfte ändern wenn dort ein Tedi, ein Handy-Laden und eine Spielothek eröffnen würden? Sind die den Wandel bestimmenden Faktoren also jeweils vor Ort zu suchen, in der Zusammensetzung der Gesellschaft, oder der baulichen Ausformung der Geschäftsumgebung oder spielen andere Faktoren, wie etwa die Digitalisierung der Warenbeschaffung im Endkundengeschäft eine vielleicht sogar dominate Rolle? Die Wahrheit lautet: Beides! Zum einen findet in den Städten ein Gesellschaftswandel statt, der (ortsabhängig) eine Abwertung von Einkaufsstraßen verursacht. Auf der anderen Seite setzt der Onlinehandel den Einzelhandel unter Druck, der ökonomisch richtig sich fragmentiert und auf die Warengruppen und Artikel zurückzieht, die pro m² den meisten Umsatz generieren. Ökonomisch richtig, doch strukturell fatal. Der Einzelhandel kann Online nicht länger ignorieren, oder misstrauisch und halbherzig damit herumexperimentieren. Es müssen echte Mehrwerte freigelegt und verfügbar gemacht werden und das am besten gestern. Das Kreatariat entwickelt gerade ein Konzept für einen der größten Schuhhändler Deutschlands, den stationären Handel mit den Absatzmöglichkeiten im E-Commerce zu verbinden und maximale Synergien aus beiden Systemen zu gewinnen. Das ganze wird dann von einem Re-Branding begleitet und als Gesamtpaket gelauncht. Der Betrachtungswinkel und das Spektrum an Aufgaben, die sich in einem solchen Projekt ergeben, reichen von städtebaulichen und architektonischen über betriebsorganisatorische und gestalterische Fragestellungen bis letztendlich zu technischen und rechtlichen Möglichkeiten und Grenzen. Zugegeben, das klingt nach einem unlösbaren Catch-em-all Projekt, doch das schöne an 360° Projekten ist das Ergebnis am Ende, das durch die synchronisierten Einzelmaßnahmen so viel besser funktioniert als Flickschusterei.

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