Deutungshoheit. Ist VW´s „petit-colon“ Insta-Story nur dämlich und Sinn-Befreit oder wirklich rassistisch?

von | Mai 25, 2020 | Branding, Gesellschaft, Sprache, Werbung | 0 Kommentare

Stills aus dem Instagram Spot von VW. Erst schubsen, dann Schnippsen, dann die Typo. Ja, das liebe Internet. Da macht man nen lustigen Insta-Beitrag und schon ist man Rassist. Die Frage ist nur, wie viel gesellschaftliche und politische Grobschlächtigkeit heute noch sein dürfen. Kann ja sein, dass da irgendein Kreativer hinter seinem Rechner saß und ihm diese Idee kam, die er dann mit seinen 5 (2 davon nicht weißen) Kollegen besprochen hat und alle es super fanden… Der Schlüssel zur Lösung des Problems ist zwischen der geistigen Flughöhe der Rezipienten eines Witzes und der Deutungshoheit des Erzählenden eingeklemmt.

Tat-Hergang: Instagram, ein Video (Llink). Die Hand der Filmenden kommt von Oben ins Bild, ein Schwarzer auf der gegenüberliegenden Straßenseite wird per Perspektiventrick von der Hand herumgeschubst, dann in ein Gebäude geschnipst, auf dem Petit-Colon steht. Es ist ein Cafe in Buenos Aires, vor der Tür steht ein Golf. Eine Einblendung erscheint „DER NEUE GOLF“. Zuerst aber, erscheinen Buchstaben, aus denen sich „N.E.G.E.R.“ basteln lässt. Was denken? Es ist schwer aus zu machen, was VW mit diesem Spot aussagen wollte, oder was generell die Geschichte hinter diesem Spot ist. Die Vertonung deutet auf irgendeine „RTL2 Pannenshow“ hin und was der Protagonist da performt sieht aus wie eine Mischung aus abstraktem Streetdance und modernem Ballet. Die Intention ergibt sich also nicht aus dem Inhalt selbst und das ist auch die Ursache des Problems das Volkswagen anschließend bekam. Es gab zu viel Raum für Interpretation. Schlecky Silberstein hat mal gesagt, dass das Problem mit Humor im Internet nicht der Humor selbst ist, sondern die Unbekanntheit der Rezipienten. Wenn man mit Leuten in einem Raum steht und einen derben Witz erzählt, hat man sich vorher die Leute dort angesehen und ihren geistige Flughöhe eingeschätzt. Dann kann man Abschätzen, ob der Witz, der auf der Metaebene inhaltlich gegen die vordere Geschichte (die dann vielleicht rassistisch ist) funktioniert, das anwesende Publikum überfordert, oder nicht. Im Internet kennt man die Rezipienten nicht und muss sich deshalb an den Schwächsten orientieren. Eine wichtige und manchmal traurige Erkenntnis für alle Online-Spaßvögel. Gibt es bei dem Spot ein Problem mit der geistigen Flughöhe, so kann ich es nicht erkennen, weil die Story dann für mich zu hoch wäre. Kurz: ich konnte weder einen roten Faden, noch einen Inhalt oder eine Geschichte erkennen, noch vermuten, dass die Handlung in irgendeinen Kontext gebracht, eine Pointe ergeben könnte (Mindestanforderung). Da liegt, glaube ich der Hund begraben. Die Geschichte ergibt keinen Sinn. Man kann damit nichts anfangen und bleibt verwirrt zurück. Da wir Dinge geradezu zwanghaft einsortieren müssen, fangen wir an den Spot nach schwarz und weiß aufteilen und die weiße Hand schubst ja auch den schwarzen Typen rum und schon ergibt sich da ein Verdacht und dann kommt unglücklicherweise noch die Typo so ins Bild und Verdacht bestätigt, feuer frei! Wie hätte dieser Spot gestaltet sein müssen um keinen Shitstorm aus zu lösen? Man hätte die Deutungshoheit behalten müssen. Also: Kontext, Kontext, Kontext. Vers. A) Die Hand ist die eines Freundes. Er/Sie ruft dem Mann auf der anderes Straßenseite etwas zu, was das verdeutlicht, z.B. „na los jetzt trau dich endlich!“ vielleicht ja auch „vamos ahora finalmente atrévete“ mit „na los jetzt trau dich endlich!“ untertitelt. *petit colon ist ein Café in Buenos Aires. Der Zuschauer fragt sich, was er sich trauen soll. Aus dem Rumschubsen wird Unterstützung, denn vielleicht wartet darin ja ein Date oder ein Job?!? Who knows? Vers. B) Die Hand bestimmt die Figur auf der anderen Straßenseite nicht, sondern reagiert auf sie. Entweder die Hand kommentiert pantomimisch die Handlungen gegenüber, oder hat (etwas komplexer) Utensilien, mit denen Sie die Handlungen gegenüber „beeinflusst“. Auf jeden fall braucht die Insta-Story eine Story, sonst heißt sie verwirrender Weise nur so. Rassismus kann ich hier nicht erkennen, nur einen schlecht gemachten Spot, der keinen Sinn ergibt. Zu Schluss habe ich noch ein Beispiel für Werbung, die trotz deutlichen Anhaltspunkten für Rassismus sehr unterschiedlich aufgenommen wurde.

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