Greta Thunberg und der „coolest monkey in the jungle“ – Zwei Fälle von Corporate social Media

von | Dez 23, 2019 | Branding, Gesellschaft, Praxis, Sprache, Werbung | 0 Kommentare

Mal was aktuelles: Im Dezember 2019 reist Greta Thunberg von der Klimakonferenz Madrid zurück nach Hause und veröffentlicht bei Twitter ein Bild, das sie auf dem Flur eines ICE sitzend zeigt. Sie schreibt sinngemäß: „Im überfüllten Zug endlich wieder nach Hause.“ Die Bahn fühlt sich falsch dargestellt und twittert zurück: „Was soll die Beschwerde, du wurdest in der 1.Klasse doch super versorgt.“ Und zurück: „ich hab mich ja gar nicht beschwert, volle Züge sind toll, weil dann weniger Leute Auto fahren“. Schnitt. Bis dahin haben sich von beiden Seiten dermaßen viele Leute über die Bahn aufgeregt, dass es nur noch am Rande um die Ergebnisse der Klimakonferenz ging. Die Einen (wenig überraschend die Bild, doch sehr überraschend eine SPD Familienministerin) diskutieren Gretas Glaubwürdigkeit, die anderen sind sprachlos angesichts der pissigen Reaktion auf ein vermeintlich harmloses Foto.

Ein anderes vermeintlich harmloses Foto erregte die Gemüter Anfang 2018. Ein ca.6 Jahre alter Junge modelt für H&M und ist auf dem Website mit einem grünen Pulli abgebildet auf dem steht „COOLEST MONKEY IN THE JUNGLE“. Das Internet explodiert hasserfüllt und H&M wird kolonialer Rassismus vorgeworfen. Der Konzern reagiert sofort und nimmt das Foto von der Webseite und aus allen Publikationen. Shitstorm einigermaßen begrenzt, Aktienkurs versaut, Augen nach vorne auf den Horizont. Wäre ein so umfängliches Einknicken vor der Masse im Internet nötig gewesen? Wäre das nicht zu drehen gewesen? Hätte man die Diskussion nicht aufnehmen, moderieren und die Aufmerksamkeit nicht nutzen können um sich als Konzern als Leuchtturm der Toleranz und der Diversität profilieren können.

Ein Ausflug in die Krisenkommunikation.

Wenn man als Unternehmen einen Fehler macht oder durch die eigenen Leistungen Schäden entstehen oder Menschen geschädigt werden, wird man in der Regel verklagt. Dann weis man, mit wem man es zu tun hat und das Team aus Anwälten, das für einen arbeitet, zeigt die Leitplanken der juristischen Bewegungskorridore auf, die ein transparentes Verfahren bietet.

Wird man im Internet angegriffen, gibt es kein geordnetes Verfahren. Die Gegner sind nicht definierbar und halten sich schon gar nicht an irgendwelche Regeln. Die Öffentlichkeit und Meinungsführer sind Ankläger und Richter zugleich und das ist bekanntlich eine denkbar schlechte Ausgangslage für eine wirksame Verteidigung. Wie geht man also am besten mit dieser Ausgangslage um?

Die Unternehmensberatung GloriaMundi aus Frankfurt hat ein paar Grundsätze in einem Whitepaper zu dem Thema veröffentlicht:

1. Ruhe bewahren! Durchatmen, einen Kaffee trinken gehen und nicht das Reptiliengehirn, also den Hirnstamm die Feder führen lassen. Emotionen runter, Vernunft und Mitgefühl an. Die meisten Online-Auseinandersetzungen entstehen aus zu schnell und reflexartig geschrieben texten bei Social Media. Daran sind auch die Anbeiter solcher Seiten schuld, die bewusst ihre Interfaces auf Geschwindigkeit entwickeln für mehr Content und mehr Klicks. Aber eben auch die Nutzer, die nur zu gern die Social Media-Muskeln spielen lassen und sich in ihrer anonymität ausprobieren, es gibt ja nichts zu verlieren.
2. Nicht Paranoid sein. Hat überhaupt ein Angriff stattgefunden? Habe ich das objektiv gegenchecken lassen, oder fühle nur ich mich angegriffen?
3. Kommunizieren Sie. Wenn man Kommuniziert bevor der Shitstorm erst mal angelaufen ist (das geht schnell, siehe Grafik unten), hat man eine realistische Chance darauf, die Diskussion als Moderator zu begleiten, statt von der Anklagebank aus zuschauen zu müssen.
4. Realistische Erwartungen formulieren. Was ist das best, was das worst-Case Szenario? Was habe ich zu verlieren, was evtl. zu gewinnen? Kann ich die Krise nutzen um mit der Earned Media Unternehmenskommunikation zu betreiben?
5. Ehrlich sein und bleiben. Wenn man etwas verheimlicht oder lügt und Niemand merkt es – okay, Glück gehabt. Wenn man sich in der Krisenkommunikation aber beim lügen erwischen lässt – ist man am Arsch. Man ist als Diskussionspartner raus und alle Glaubwürdigkeit ist dahin, siehe z.B. Deutsche Bank und VW. Geht man mit seinen Fehlern offen um und bezieht die Öffentlichkeit in strukturelle Änderungen mit ein, kann man aus der Krise gestärkt hervorgehen.

 

Verlauf und Geschwindigkeit eines Shitstorms, hier am Beispiel Adidas.

Zurück zu Greta. Hier hat die Bahn alles Falsch gemacht, was man Falsch machen kann. Gehen wir es Punkt für Punkt durch:

1.Geschwindigkeit: Greta Tweet Samstag Abend 22:45, Reaktion Bahn Sonntag 13:02.
Angesichts der relativ kurzen Reaktionszeit am Wochenende und der Uhrzeit hat sich wohl kaum ein Verantwortlicher mit dem Tweet beschäftigt. Das sieht eher nach dem Werk des Wochenend-Besatzungs-Praktikanten aus. Zu schnell, nicht durchgeatmet, nicht nachgedacht.
Objektivität: Der Social Media beauftragte der Bahn hat offenbar alleine agiert. Eine weitere Person als Gesprächspartner hätte das Bild bestimmt nicht als Angriff interpretiert, sondern so: „müdes, enttäuschtes Mädchen nach ergebnisloser Klimakonferenz auf dem Heimweg, freut sich auf zu Hause. Schöne Lichtstimmung da am Fenster“. Shitstorm wäre vermeidbar gewesen.
Moderationsrolle entfällt, da Shitstorm durch den vermeintlich Angegriffenen ausgelöst wurde.
Was gab es zu gewinnen? Best Case: Greta Thunberg, die perfekte Werbefigur für die Bahn, bei Twitter mal so richtig schön zurechtweisen. Worst Case: eine weitere Welle höhnischer Kommentare über die regelmäßig unbestreitbar überfüllten Züge der Bahn.
Ehrlichkeit: Zu versuchen das unübersehbare schön zu reden, oder wie hier geschehen im schnippischen Ton ein Lob für die Bahn ein zu fordern, die es geschafft hat jemanden in der 1. Klasse sitzen zu lassen und ganz nebenbei die Info fallen zu lassen, dass das Fräulein sich wohl zu fein für die 2.Klasse ist ist klein, erbärmlich und deutet darauf hin, dass die Bahn nicht mehr viel von der Realität wahrnimmt. Wer schon ein paar mal ICE gefahren ist, weiß sofort, wovon ich rede. Fehler werden weggedrückt und stattdessen Lob eingefordert. Das ist Gaslighting und sollte Diktatoren vorbehalten bleiben.
Fazit: Shitstorm hart erarbeitet und zu recht geerntet. Nicht nur zu schnell und pissig geantwortet, sondern sich auch krass im Gegner vergriffen. Welche Person ist besser geeignet für die Bahn Werbung zu machen als Greta?
Nächster Aufreger.
Ganz anders aber aus meiner Sicht genauso vertan war die Chance des Modekonzerns H&M als ihnen das Foto eines kleinen Jungen um die Ohren flog, der einen Hoodie mit der Aufschrift „coolest Monkey in the Jungle“ trug. Dem Konzern wurde Rassismus und das Bedienen von Vorurteilen vorgeworfen. Das internet war erzürnt und eine Musikgruppe kündigte die Zusammenarbeit mit H&M auf, ob aus Überzeugung, oder aufgrund einer großen Schnittmenge Ihrer Fans und der Shitstorm-Crowd kann ich nicht sagen. Was ich jedoch sagen kann ist, dass ich die Aufregung darüber nicht nachvollziehen kann. Ich persönlich sehe da nur ein Kind, dass einen Pulil trägt, der ihn als coolen Typen beschreibt. Den Kleinen den Pulli nicht tragen zu lassen, weil irgendwelche KKK-White-Supremasist-Nazis ihn als Nigger oder Affe beschimpfen würden, heißt ihn durch Vorurteile anderer in seinem Leben und seiner Freiheit ein zu schränken. Applaus.
So oder so ähnlich hätte das narrativ klingen können mit dem H&M auf die Rassismus-Vorwürfe hätte antworten können. Sie hätten auf die hohe Diversität in Ihrem Konzern hinweisen können und dass Sie sich darum bemühen nicht mehr ausschließlich in Horror-Sklaven Fabriken produzieren zu lassen, am Ende singt der CEO mit dem Kleinen Jungen und seiner Mutter zusammen „change is gonna come“ von Sam cooke und aus dem Shitstorm ist ein Preiswürdiger Fall von Earned Media geworden. Funktioniert nur weil a)die Mutter dabei wäre, die konnte die Aufregung auch nicht verstehen und b)H&M sich tatsächlich nicht direkt antirassistisch verhalten, aber Rassismus dort wirklich keinen Platz hat. womit wir wieder bei Ehrlichkeit wären.
Was der Konzern tat, war sich zu entschuldigen, man hätte keine Gefühle verletzen wollen, Rassismus sei uns fremd blablabla, gefolgt vom Geräusch von zusammengekniffenem Luftballon, dass die Massen im Internet von sich gaben als sie sich beruhigten und gegenseitig auf die Schultern klopften, wie gut sie doch gerade gegen das Böse in der Welt gekämpft hätten. Schade, Chance vertan.

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